Christliche Soziallehre versus neoliberaler Turbokapitalismus
Zu einem „Politik am Mittag – Spezial“ konnte der Stiftungsvorsitzende Minister a.D. Werner Schreiber am 15. Mai 2012 den ehemaligen Bundesarbeitsminister der CDU, Dr. Norbert Blüm, im Arbeitnehmer-Zentrum Königswinter begrüßen. Anlass seines Besuches war die Jahrestagung des Stegerwald-Bundes, der CDA-Arbeitsgemeinschaft ehemaliger christlich-sozialer Gewerkschafts- und Sozialsekretäre. Vor rund 100 interessierten Zuhörern sprach Blüm über sein neues Buch: „Ehrliche Arbeit. Ein Angriff auf den Finanzkapitalismus und seine Raffgier“. Blüm, der nicht unerwähnt ließ, dass Franz-Josef Strauß ihn einmal als „Herz-Jesu-Marxisten“ titulierte, hielt ein überzeugendes Plädoyer für die christliche Soziallehre und die Würde der Arbeit.
Im Anschluss an ein Grußwort des Vorsitzenden des Stegerwald-Bundes, Albert Keil, erinnerte Minister a.D. Werner Schreiber zunächst an die historische Rolle, die Norbert Blüm bei der Gründung der Stiftung CSP und beim Bau des Bildungshauses Königswinter als christlich-soziale Bildungsstätte gespielt hat. Ihm sei es zu verdanken, dass das AZK auf über 25 Jahre erfolgreiche Bildungsarbeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurückblicken könne. Die CDU täte gut daran, so Schreiber, sich wieder stärker auf ihre christlich-sozialen Wurzeln zu besinnen und diese zum unverwechselbaren Markenkern einer an christlich-sozialen Grundwerten orientierten Politik zu machen. Dies gelte besonders in Zeiten der Unsicherheit und der besorgniserregenden Folgen der internationalen Finanzkrise, von deren Bewältigung auch das Schicksal der deutschen Wirtschaft abhänge. Schließlich habe die Instabilität der Währungsunion unmittelbare Auswirkungen auf die Stabilität der deutschen Wirtschaft, die vor allem vom europäischen Binnenmarkt profitiere. Zwar wäre Deutschland vergleichsweise gut aus der Wirtschaftskrise herausgekommen, aber die entscheidende Frage für die Zukunft laute, wie sich wirtschaftliche Stabilität langfristig herstellen ließe. Da die Finanzwirtschaft mittlerweile größeres Kapital bewege als die Gesamtleistung der Realwirtschaft umfasse, seien strengere Regeln dringend geboten. Es brauche stärkerer Regulierungsmaßnahmen, um der Profitgier des Finanzmarktkapitalismus Einhalt zu gebieten, die auch vor Spekulationen auf Lebensmittel nicht Halt mache.
Norbert Blüm griff die einleitenden Worte des Stiftungsvorsitzenden auf und betonte die Diskrepanz zwischen der Arroganz des Geldes und der Würde der Arbeit. Mit Geld lasse sich heutzutage mehr Geld machen als mit Arbeit, so der ehemalige Bundesarbeitsminister. Viele große Firmen erwirtschafteten mit Geldgeschäften höhere Gewinne als mit produktiver Arbeit. In einer schneidenden Kritik am Finanzsystem, die sich sowohl gegen riskante Spekulationsgeschäfte von Banken in Form von Leerverkäufen, den Einfluss der Ratingagenturen und die geringe Prognosekraft wirtschaftswissenschaftlicher Analysen im Vorfeld der Finanzkrise richtete, betonte Blüm, dass der Finanzmarktkapitalismus ein System sei, dass sich auf der Grundlage einer neoliberalen Wirtschaftspolitik entwickelt habe. So hätten wir es nicht nur mit einer Finanzkrise zu tun, sondern die tiefere Ursache unserer gegenwärtigen Lage sei eine Kulturkrise – der „homo oeconomicus“ habe sich überlebt, genauso wie die neoliberale Ideologie. Unglaublich seien besonders hohe Abfindungen für Manager, die ihre Firmen oder Banken in die Krise gewirtschaftet hätten und deren Zeche jeweils die Arbeitnehmer zu zahlen haben. Christlich-soziale Werte wie Treue, Verlässlichkeit, Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit seien jedoch immaterielle Werte, die nicht nach Kosten und Nutzen berechnet werden könnten. Sie sind mit einer Gesellschaft der sozialen Kälte und Härte unvereinbar, in der alles auf das Streben nach Gewinn und Vorteil ausgerichtet ist. Ohne die Achtung der Arbeit und der Würde des Menschen würde das System jedoch nicht überleben können, so Blüm. Die Achtung der Arbeit sei mit Geld nicht zu bezahlen, sie sei keine Ware, die man kaufen könne. So würde die Humanität des Kapitalismus zur Freiheitsprobe in existentieller Form.
Die Realität sei jedoch eine andere. Unternehmen unterhielten Firmensitze in Steuerparadiesen und Produktionsstandorte in Niedriglohnländern. Die Identifikation des Arbeiters mit dem eigenen Betrieb sei heute kaum noch möglich. Das Programm neoliberaler Wirtschaftspolitik – Deregulierung, Privatisierung und Kostensenkung – führe dazu, dass die Stammbelegschaften aus Kostengründen durch Leiharbeiter ersetzt würden. Zudem vergrößere die Lohnentwicklung in Deutschland die Gefahr von Altersarmut. Der wachsende Niedriglohnsektor belaste zudem Familien und Ehen.
Leidenschaftlich plädierte Blüm, der für seinen Vortrag viel Beifall erhielt, in seinem Schlusswort für eine soziale Marktwirtschaft, die sich an den Grundwerten der christlichen Sozialehre orientiert und der Subsidiarität im Sinne der Solidarität verpflichtet ist.