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Deutsche und Polen – Ins Gespräch kommen über Geschichte, Politik und Kultur

Seminar vom 19.-21. Juli 2017

Deutsche und Polen verbindet eine schwierige Partnerschaft. Nach über 70 Jahren wird die Beziehung noch immer überschattet von den deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges. Dabei verbinden viele Teilnehmer mit dem Nachbarland auch sehr viel Offenheit, Gastfreundschaft und großartige handwerkliche Fähigkeiten. Das gegenseitige Erzählen über die Geschichte, Politik und Kultur birgt aber selbst heute noch zahlreiche Spannungen und Konflikte. Einige Teilnehmer haben in der Kindheit die Vertreibung miterlebt. Viele haben Verwandte und Freunde in Polen. In der Vorstellungsrunde prägte alle vor allem ein Begriff: „Wandel“. Polen hat in seiner Geschichte zahlreiche Wandel erlebt. Wer die aktuellen Nachrichten verfolgt, erkennt auch heute wieder einen bedeutsamen politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Wandel. Im Seminar „Polen – Naher, unbekannter Nachbar!?“ sollten Hintergründe erklärt und Bezüge zu den Erlebnissen und Erfahrungen der Teilnehmer hergestellt werden.
Wer die aktuellen Debatten und Entscheidungen Polens besser verstehen möchte, sollte sich vor allem mit der Geschichte und Tradition des Landes befassen. Michael Lingenthal, Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Köln-Bonn, sprach mit Blick auf die Vergangenheit beider Länder weniger von einem deutsch-polnischen, statt von einem deutsch-deutsch-polnischen Verhältnis. Viele Vorurteile und Diskriminierungen hätten vor allem zwischen der DDR und Polen bestanden. Auch hier liegt der Ursprung in der Geschichte: Polen wurde 1772 in drei Gebiete an Preußen, Russland und Österreich geteilt und von den jeweiligen Ländern besetzt. Dem Verlust der Staatlichkeit folgte auch eine jahrhundertelange Unterdrückung der polnischen Kultur. Lingenthal wies auf das starke Sicherheitsbedürfnis hin, das viele Polen als Angst vor der Bedrohung durch Russland noch heute prägt und eint. Viele Vorurteile wären dadurch zustande gekommen, da sowohl Deutsche als auch Polen zu wenig über die Geschichte des anderen wussten. Der saloppe Spruch, die Arbeit sei „polnische Wirtschaft“, sei mittlerweile längst widerlegt. Heute haben sich polnische Handwerker durch ihre professionelle Arbeit ausgezeichnet. Lingenthal kritisierte den „arroganten Umgang“ von Medien, die beim Beitritt Polens in die Europäische Union 2004 schrieben: „Polen ist wieder zurück in Europa“. Heute gäbe es zum Glück immer weniger Vorurteile. Grund dafür sei die wachsende Offenheit beider Kulturen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Teilnehmer schätzten beim Seminar insbesondere die Offenheit und Vielseitigkeit während der Vorträge und Gesprächsrunden. Sowohl Polen als auch Deutsche konnten gemeinsam von den Erfahrungen und Erlebnissen im Umgang mit beiden Ländern profitieren.
Auch Werner Jostmeier berichtete von zahlreichen Erlebnissen, die geprägt waren von großer Gastfreundlichkeit. Manche Zeitzeugen des Krieges mussten Tod, Leid und Armut durch die deutschen Soldaten erleben und vertrauten sich Jahre und Jahrzehnte später trotzdem den Deutschen an. Jostmeier, der selbst viele Erfahrungen Zeit als Landtagsabgeordneter NRW für die CDU und Vorsitzender der Parlamentariergruppe NRW-Polen erlebt hat, zeigte die Bedeutung der gemeinsamen Freundschaft zwischen Deutschen und Polen auf: „Deutsche und Europäer verdanken den Polen sehr viel.“ Gemeinsam haben die Länder beim Jahrestag der Deutsch-Polnischen Freundschaft den europäischen Friedensgedanken betont, haben immer offener und mitmenschlicher miteinander gesprochen, „die Wahrheit zugelassen“. Ohne die Aufbauarbeit und Versöhnungswirkung wären der wirtschaftliche Aufschwung Polens und die bessere gemeinsame Beziehung zueinander nicht zustande gekommen.
Viele Teilnehmer hatten bei diesem Seminar die Erwartung, ihre Unkenntnis zu beheben und die Zusammenhänge besser zu verstehen. In den Gesprächen wurde deutlich, dass vor allem Deutsche nur sehr wenig über die kulturellen Werke und Entwicklungen in Polen wissen. Dabei hatte gerade die Kultur einen ganz besonderen Stellenwert innerhalb des Landes. Nach der Aufteilung Polens durfte in den Schulen nicht auf Polnisch unterrichtet werden. Stattdessen wurden lediglich Kirchenlieder in „der eigenen Landessprache“ gesungen. Eine verbindende und prägende Erfahrung, die sich unter anderem in Hymnen zeigt, die oft gesungen werden und einen religiösen Bezug haben. Die Kirche bot vielen Menschen den gemeinsamen, geschützten Raum, in dem die Kultur weiterlebte. Sie ist „mitten im Leben verankert“, erzählt Agnieszka Karas, die als Autorin, Regisseurin und Literaturübersetzerin in Bonn lebt. Ein Film, den sie zeigt, erzählt die Geschichte von Witold Hulewicz, einem kulturell-begeisterten Macher, der trotz Krieg, Armut und Unfreiheit Beethoven-Lieder bekannter macht, eigene kulturelle Engagements realisiert, einen literarischen Mittwoch einführt und letztlich im Untergrund eine Zeitschrift des Widerstands veröffentlicht. Witold Hulewicz wurde am 12. Juni 1941 von den Nationalsozialisten erschossen, auch wenn diese nie endgültig seine „Schuld“ nachweisen konnten.
Anhand weiterer Theaterstücke und Filmsequenzen unterstrich Agnieszka Karas die starke Bindung vieler Polen an die Kirche. „Auch wenn es Polen auf der Landkarte nicht gab, lebte Polen“, erklärt sie. In zahlreichen polnischen Werken aus Literatur, Kunst, Philosophie und Musik ist – teilweise heute immer noch – ein konkreter Bezug auf die Vergangenheit erkennbar. Eines wurde den Teilnehmern ebenfalls deutlich: Die Geschichte Polens passt nicht in das Schema des Kommunismus hinein. Oder wie Josef Stalin es einst formulierte: „Den Kommunismus in Polen einzuführen wäre so, als würde man eine Kuh satteln wollen.“ Zahlreiche antikommunistische Proteste führten nach Ende des Stalinismus dazu, dass 1989 der „Runde Tisch“ gebildet und die Verfassung unterzeichnet wurde. Insbesondere Jugendliche würden sich heute wieder in politische Prozesse mit einbringen. Agnieszka Karas sieht einerseits die Gefahr eines neuen, aufkommenden Nationalismus, andererseits aber auch eine besonders starke, positive Meinung junger Menschen gegenüber der Europäischen Union.
Was nicht nur Polen, sondern auch Deutsche aktuell beschäftigt, sind die gegenwärtigen politischen Entwicklungen in Polen. Die nationalkonservative PiS-Partei erhielt mit knapp 38 Prozent bei der Wahl zwar die absolute Mehrheit. Bei einer Wahlbeteiligung von knapp 51 Prozent haben auch die Zersplitterung der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien, die Einführung des Kindergeldes durch die PiS sowie das Wegbleiben vieler junger Menschen bei der Wahl zum Wahlsieg der Nationalkonservativen geführt. Bartosz Dudek, Leiter der Polnischen-Redaktion der Deutschen Welle, machte die aktuellen Entwicklungen anhand des politischen Systems und den Medien deutlich. Gegenwärtig glichen die öffentlich-rechtlichen Medien geradezu einem „Staatsfernsehen“. Nationalkatholische Sender würden auch nicht davor zurückschrecken, rassistischem Gedankengut Raum zu bieten. Die Unterordnung des Verfassungsgerichts sowie die Aushebelung der Gewaltenteilung stimme auch Dudek sehr bedenklich. Ähnlich wie viele Teilnehmer äußert er die Sorge, dass Polen schrittweise die Freiheit verliere, die es sich zuvor hart erkämpft hatte. Das Land habe mit dem Beitritt zur NATO (im Jahr 1999) und der Europäischen Union (2004) zusätzlich Schutz und wirtschaftliches Wachstum erhalten. Dudek macht heute die Zivilgesellschaft Mut, die auf die Straße geht und sich aktiv für den Erhalt der Freiheit einsetzt. Seine Prognose: Polen lässt sich die Freiheit nicht nehmen und das autoritäre Modell der derzeitigen Regierung wird keinen Bestand haben.
Die Teilnehmer lobten am Ende vor allem die Vielseitigkeit der Themen und Referenten. Jeder der Redner stützte sich auf seine eigenen Wahrnehmungen und Erlebnisse, ohne dabei vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Das sehr komplexe Thema der deutsch-polnischen Nachbarschaft wurde auch dadurch bereichert, dass zahlreiche Teilnehmer ihre Erlebnisse mit den anderen teilten. Alle Teilnehmer hat eine Erkenntnis geeint: Miteinander kann man sehr vieles noch besser erkennen und verstehen.
von Timo Gadde, Journalist

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